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Aus reiner Neugier: Mehmet Tahir Öncü
Mehmet Tahir Öncü

Herr Öncü, woran arbeiten Sie zur Zeit?

Derzeit arbeite ich an zwei wichtigen Projekten: Zunächst einmal geht es mir als Wissenschaftler darum, den Studierenden die Übersetzungswissenschaft klar und verständlich zu machen. Deshalb beschäftige ich mich seit mehreren Jahren mit dem Sichtbarmachen des Translationsprozesses. Wie geht das? Ich arbeite an Übersetzungsschemata Deutsch-Türkisch. Ich versuche den Studierenden anhand von Schemata den Übersetzungsvorgang für die deutschen Satzformen zu entwickeln. Man kann dies als „strukturelle Übersetzungswissenschaft“ bezeichnen. Mein Forschungsvorhaben wurde mit dem Georg Forster-Forschungsstipendium für erfahrene Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert.
Mein zweites wichtiges Projekt ist zur Entwicklung der türkischen Germanistik beizutragen: zum einen durch die Übernahme der Leitung des Türkischen Germanistikverbandes (GERDER), zum anderen durch die Gründung und Entfaltung der Reihe „Germanistik in der Türkei“ im Logos Verlag Berlin. Die Reihe habe ich 2018 mit zwei weiteren bedeutenden Kollegen aus der türkischen Germanistik gegründet und es ist sehr erfreulich zu sehen, dass die Reihe eine gute Resonanz gefunden hat. Sie wächst und gedeiht!

Was ist für Sie die wichtigste Entdeckung?

Eine schwierige Frage! Gedanken über eine Rangfolge hatte ich mir bislang noch nicht gemacht; aber jetzt so aus dem Stegreif würde ich sagen: die Schrift! Mit der Erfindung der Schrift war/ ist es möglich, Wissen auf eine andere Weise als mündlich weiterzugeben. Ohne Schrift gäbe es keine Bücher, keine Zeitungen; gar nichts. Viele weitere Entdeckungen basieren auf der Entdeckung der Schrift; so z.B. der Buchdruck oder das Internet und vieles mehr.

Welche 3 Bücher haben Sie beeinflusst?

Noch so eine schwierige Frage, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe. Es gibt Bücher, die ich zwei oder drei Mal gelesen habe, einfach so, weil sie gerade meine derzeitige Verfassung sehr angesprochen haben. Es gab auch Bücher, die ich nach der fünften Seite abgebrochen habe, wo ich mir dann sagte, dieses Buch hat noch Zeit. Und irgendwann kommt dann die „richtige“ Zeit.

Wenn Sie nicht Wissenschaftler wären, was wären Sie dann?

Elektroinstallateur oder Dolmetscher! Vor der Rückreise der Familie in die Türkei hatte ich eine Lehre als Elektroinstallateur begonnen. Ich denke, wenn die Familie dort geblieben wäre, hätte ich meine Lehre beendet und am Ende auch den Meisterbrief bekommen, denn ich hatte an dem Beruf sehr viel Freude. Bevor meine akademische Laufbahn begann, hatte ich als Absolvent des Germanistischen Instituts als Dolmetscher gearbeitet – ein Beruf, den ich ebenso gern ausgeübt habe. Das Erfreuliche ist, dass ich diese beiden praktisch-orientierten Berufe mit in meine Veranstaltung nehmen kann. So bereichern die persönlichen Kenntnisse zur Elektrizität die Veranstaltung „Technische Übersetzung“, und die eigenen Erfahrungen zum Dolmetschen kann ich in den Veranstaltung „Simultandolmetschen“ oder „Konsekutives Dolmetschen“ weitergegeben.

Braucht die Wissenschaft Verlage?

Ja, auf jedem Fall. Denn erst durch den Verlag gewinnt das Werk an Professionalität. Von Selfpublishern etc. halte ich nicht besonders viel. Kann man ja mal machen, aber ich bin davon überzeugt, dass sich die Zusammenarbeit mit einem Verlag immer lohnt und dass das Ergebnis am Ende besser ist, als wenn ich alles allein übernehmen würde.

Warum schreiben Sie Bücher?

Gestern war Bücherschreiben immer verbunden mit „Fussnoten“: „Fussnoten“ hier, „Fussnoten“ da! Die akademische Welt war entdeckt! Viel Lesen, viel Notieren und viel Schreiben! So wurde das Bücherschreiben für mich etwas wie ein Hürdenlauf, um ein bestimmtes „Level“ zu erreichen. Ich habe mir das manchmal wie ein Spiel vorgestellt. Ziel bei diesem Spiel war es, diesen oder jenen akademischen Titel zu erlangen. Mein erstes Buch war zum Thema „Fachsprache“, dann die „Rechtssprache“ später die „techniche Sprache“ und zu guter letzt „Landeskunde“. Als Lehrpersonal in der Türkei wollte ich auch das Bücherdesiderat für sämtliche Veranstaltungen niederschreiben. Zahlreiche bei Frank& Timme erschienen Monografien kann man hervorragend für Lehrveranstaltungen wie „Rechtsübersetzung“, „Technische Übersetzung“, „Fachübersetzung“ und „Landeskunde“ verwenden. Es ging mir einerseits darum, mein eigenes Interesse zu befriedigen, anderseits darum, dem Lehr- und Lernbedarf in der Türkei entgegenzukommen.
Heute schreibe ich immer noch mit „Fussnoten“. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich weniger an Monographien arbeite. Vielmehr arbeite ich mit mehreren KollegInnen an Sammelbänden, um ein größeres Publikum anzusprechen und um den Nachwuch zu fördern. Einerseits geht es mir weiterhin stets um meine Interessen, andererseits suche ich „Lücken“ im Fachbereich, deren Schließung ich mir zur Aufgabe mache.
Morgen habe ich mir vorgenommen, Bücher zu schreiben, bei denen ich nicht unbedingt Fussnoten angeben muss! Also Bücher ohne „Fussnoten“, wenn die Zeit ausreicht!

Wie bekommen Sie den Kopf frei? Was machen Sie in ihrer Freizeit?

Mit Freunden und Kollegen unterhalten! Vor Corona war es immer bei einem türkischen Çay (schwarzer Tee). Jetzt, in der Corona-Ära, passiert das online...
Mehmet Tahir Öncü lehrt als Professor für Übersetzungswissenschaften am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Ege Universität in Izmir.
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